News
Embrunman - die Langversion
Besondere Rennen verlangen besondere Nachbereitungen. Sei es zum Zwecke der Selbsttherapie oder nur um eine kostbare Erinnerung zu haben.
Embrun ist kein Rennen, zu dem man sich am Tag danach in Schlangen mit zig anderen erneut anmeldet. Selbst ein Jahr später werden die Erinnerungen wahrscheinlich als Warnung noch wach sein.
Es war Anfang 2019, Roth, Frankfurt, Klagenfurt und all die bekannten Rennen der Szene waren längst ausgebucht und als meine Teilnahme zum Swissman leider nicht ausgelost wurde, las ich zum ersten mal etwas vom Embrunman.
"Le triathlon le plus difficile du monde" brannte sich förmlich in mein Hirn ein und einige Tage später wusste ich, Das! wird mein Rennen 2019.
So trug es sich zu, das ich mich mit meiner Familie und den beiden Triabolos Jule und Mathias auf den Weg nach Frankreich machte. Zu Begin des Jahres als Männerroadtrip geplant, doch es kommt bekanntermaßen anders als man denkt.
Unterstützung gab es von Jule und Mathias
Nach 3 Tagen Anreise kommen wir am Campingplatz La Clapiere an. Offensichtlich ist die Creme de la Creme der französischen Triathlonwelt hier versammelt. Es findet ein Schaulaufen ohne Posertum statt. Hier ist niemand zufällig.
Als Flachlandtiroler aus Norddeutschland suchte ich während des Trainings leider vergeblich nach Höhenmetern. Mehr als kleinere Hügel waren nicht auszumachen, die Zeit für Vorbereitungstouren in den Harz oder gar in richtige Berge gab es nicht.
Merke; auch zehn mal den Escheburger Schulberg hinauf ergeben kein adäquates Bergtraining.
Karbon statt Kondition
Mit Material lässt sich Embrun nicht knacken. Dennoch musste eine Anpassung am Rad erfolgen. Meine Heldenkurbel von 54/39 musste einer Kompaktkurbel weichen, um überhaupt einigermaßen stabil auf den Marathon gehen zu können. Kadenz ist in den Bergen alles. Und was mir an Kraft im Berg fehlt, muss eben über Umdrehung ausgeglichen werden. Weniger als 50/34 vorn waren jedoch nicht drin, mein Rettungsanker hinten zählte 20 Zähne.
Auf den norddeutschen Hügeln fühlte sich die Übersetzung stimmig an.
Wie trainiert man nun für solch ein Rennen? Ich ignorierte alle Trainingspläne mit den tollen Zeit- und Paceangaben und fand ein motivierendes Zitat aus einem Forum zum Embrun-Rennen: "vergiss Trainingskonzepte, trainiere so, das Du tot einen Marathon laufen kannst."
Auf gehts
Etwas nervös vor dem Start
Morgens um 05:00 laufe ich wie ein Lamm zur Schlachtbank zum Startbereich. Kummer sind die Franzosen ja leider gewohnt, ohne ID Card gibt es keinen Einlass, der Sicherheit wegen.
Zu Beginn galt es die üblichen 3,8 km schwimmend im wunderschönen Plan d'Eau zu absolvieren. Dieser ist durch einen Damm vom Lac de Serre Poncon getrennt.
Start war morgens um 06:00 Uhr. Nun ist es hier in den Westalpen zu dieser Zeit noch stockdunkel. Damit eine halbwegs geordnete Schwimmstrecke eingehalten wird, fährt ein beleuchtetes Boot voraus. Einziger Nachteil dabei ist, das nun 1.000 Bekloppte wie die Motten auf das Licht zusteuern und dabei nicht zimperlich sind. Aber auch das ist le Mythe.
Nach der Kopfnussfabrik zurück in T1 wusste ich nicht, wie groß mein Rückstand zur Spitze war, aber beruhigend viele Räder standen noch in der Wechselzone. Ich entschied mich für den doppelten Stripptease, da ich bei angepeilten 7,5 Stunden auf dem Rad doch mehr dem Radoutfitt vertraute als dem Triathlondress.
Laut Reglement war das blank ziehen ein Disqualifikationsgrund also schön unterm Handtuch umgezogen. Platz 1 der längsten Wechselzeit in T1 hatte ich somit gewonnen.
Auf die Räder fertig los
Bei der Renneinteilung haben die Franzosen eine Menge Humor bewiesen. Wer erst auf dem Rad zum Riegel griff wurde bestraft. Und zwar mit 7 km Länge und 400 HM welche 300 Meter nach dem Start begannen.
Somit gab es nur ein sehr kurzes Einfahren.
Warum ich hier bereits von Athleten mit rot leuchtenden Kopf schnaufend überholt wurde, als ob an diesem Berg bereits das Ziel wartet, weiß ich nicht. Aber ich denke, für manche von Ihnen wird dieser Tag noch länger als meiner.
So recht wollte kein "Flow" auftreten, es gab ständige 8-12% Anstiege ohne die entsprechenden Abfahrten. So standen nach der 2. Rennstunde erst magere 40 km auf der Uhr.
Nun ist das Problem bei Embrun, das die über Jahre antrainierte Aeroposition, die ich mittlerweile gut über 5 Stunden schmerzfrei halten kann, wenig bringt. Ständige Rhytmenwechsel und ein stetes auf und ab sind hier auf dem Rad meine Gegner.
14/40
Wellig blieb das gesamte Terrain, wechselte sich mittlerweile mit Passagen in denen man gut an der 40 knacken konnte, dicht gefolgt von den Wellen, die einen wieder auf Tempo 14 abbremste. Der schlechte Asphalt sorgte zusätzlich dafür, das sich Abfahrten nicht wie welche anfühlten, das Gehoppelt beruhigte mich allerdings dahingehend, mit dem Rennrad auf das richtige Rad gesetzt zu haben. Aufliegerfahrten schienen aufs seltenste begrenzt zu sein.
Nur ruhig bleiben dachte ich mir, das Rennen beginnt am Col d'Izoard (km. 80 - 102, 1.500 HM Anstieg am Stück)
Während des Rennens baute ich mir meine Verpflegungstasche mit Riegeln vom Rahmen, diese behinderte mich beim Wiegetritt. Eine Erkenntnis, die aus dem fehlenden Bergtraining resultierte.
Es blieb aber auch noch etwas Zeit die unfassbar schöne Landschaft aufzusaugen, sogar für ein paar Fotos ließ ich mich hinreißen. Eine Umrundung des eben erlebten See und weitere Bergpanoramen sind die wahren Schönheiten des Embrunman.
Blick auf den Lac de Serre Poncon
Je näher der Gipel des Izoard kam, desto mehr Tourfeeling kam auf. "Allez Porte" und weitere Namen von Tour de France Fahrern konnten auf der Straße gelesen werden, oben am Gipfel gab es eine leckere Auswahl an Süßem. Wer wollte, konnte sich seinen (vor dem Start abgegebenen) Beutel mit Dingen, die am Gipfel benötigt werden, abholen.
Das Wetter war perfekt, mehr als eine Windjacke wurde nicht benötigt.
Was nun folgte war die Belohnung. Was mir während der Auffahrt an Kraft fehlte, konnte ich nun durch Opferbereitschaft oder Wahnsinn wettmachen. Tief im Lenker liegend jagte ich nun Kehre um Kehre, mit jeder Serpentine verzögerte ich den rettenden Griff in die Bremse. Die Straße war trocken, also gab es keinen Grund nicht Vollgas zu fahren.
Humor die zweite
Die Verpflegungsstationen sind äußerst gelungen. Gern sind diese auf Abfahrten oder in engen Ortdurchfahrten hinter Kurven aufgestellt. Das sorgt für zusätzliche Anspannung. Man sollte jedoch auf die eigene Verpflegung setzen, es gibt selbstgemachtes Orangenwasser (oder Zitrone??) und man kann sicher sein, nie das zu bekommen, was man zugerufen hatte. Das kann aber auch an meinem nicht vorhandenem Französisch liegen. Ich habe mich letztendlich auf ein lautes "Energy" geeinigt und fand jedesmal etwas anderes in den Flaschen.
Weiterhin gab es halbierte oder geviertelte Bananen in der Schale, was ich auf besagter Abfahrt sehr witzig fand, aber keine (wenig) Riegel oder Gels, keine kilometerlangen Supermärkte wie bei IM Rennen. Sympatisch, irgendwie old school. Ich hoffte insgeheim auf Schinkenbaguette und Rotwein im Ziel.
Durch die Menge an Riegeln, die ich mit mir herumschleppte fühlte sich mein Trikot zwar eher nach Bleiweste an, aber ich konnte sicher sein, nicht mit leerem Tank auf die Laufstrecke zu starten. So warf ich ein, was die Taschen hergaben.
Auf dem Anstieg zum I'zoard
Alle reden vom Izoard, dabei war dieser rückblickend gar nicht so schlimm, wie jener unbekannter Anstieg, der sich in meine Embrun-Erinnerung eingebrannt hatte. Bei Km. 150 ragten plötzlich 2-3 km schnurgeradeaus 12%-15 % auf, natürlich bergauf. Man sieht das Ende und plötzlich ärgerte ich mich über meine Sparsamkeit an der machbaren Übersetzung doch sehr. Wackelig steuerte ich mit Tempo 7 dem Berg hinauf. Der Rest der Strecke hatte mir dann doch irgendwie den Stecker gezogen. Denn was bis hier völlig ungesagt blieb, war der föhnartige Gegenwind, der irgendwie ständig bließ. Dabei waren mir mittlerweile die ewigen Wellen egal, ich kurbelte eben so, dass ich nicht Gefahr lief zu übertreiben. Ich erinnerte mich, dass am Ende noch ein Anstieg drohte, aber Embrun war nicht rieseig, was sollte das schon sein.
Was soll denn DAS!!
Was dann aber kam, kann durchaus als Dickes Ende bezeichnet werden. Während ich in Embrun bereits die ersten Läufer ausmachen konnte, zeigte die Wegmarkierung noch restliche 10 km. an. Das davon 7 km bergauf gingen, hat wohl vielen hier den Rest gegeben. In völlig unnötiger Streckenführung, zogen sich etliche Kehren hinauf um auch wirklich jeden Winkel von Embrun gesehen zu haben.
Die Abfahrten hätten auch einem MTB-Marathon zustehen können, ein Flickenteppich aus Schlagloch und weichem Teer, der in den Kehren auch wegrutschte. Das wäre jetzt wirklich blöd, also früher Griff in die Bremse und nach Hause rollen.
Zurück in der Wechselzone muss ich wohl doch ziemlich fertig ausgesehen haben, denn auf die Frage ob ich eine Massage wollte, antworte ich erst mit einem merkwürdigem Gesicht und danach mit no, merci...und ärgerte mich sogleich darüber.
Die Plastikstühle in der Wechselzone waren ein weiterer Hinweis für die spaßigen Franzosen. Nach knapp 8 Stunden Rad möchte man schon mal ganz gerne...nur mal kurz ein wenig sitzen....
und zum Schluss
Nach dem 2. Striptease, der diesmal etwas schneller klappte, merkte ich, dass der Wind auch ohne Rad einem heißen Fön glich und es nun ans Eingemachte ging.
Zum Warmlaufen ging es entlang am See, wo Mäußchen mit Sohneman einen guten Platz fand, um gleich 2x zu motivieren.
Dann ging es den 5% Anstieg in die Innenstadt von Embrun vorbei an Eisläden, Bierbank gesäumte Restaurants, das Verlangen nach einem Bier in der Wüste könnte nicht größer sein.
Die erste Runde konnte noch durchgerannt werden, die zweite leider nicht mehr
Anschließend den Berg wieder hinunter, Knie und Wade hielten, aber wo war ich?
Überhaupt, wie weit war ich schon. Nirgends eine Markierung zur Orientierung, also diente Runde eins der Eingewöhnung, in Runde zwei konnte ich mich dann erinnern, Runde drei folgte später nur noch im Halbdylierium.
Getränkestände waren lange Zeit Mangelware, schön wenn man eben ein Gel eingeworfen hatte und dann...nix kam. Aber das konnte ich ja in der nächsten Runde besser machen.
Es kam nun die Stunde(n) der Supporter. Mathias und Jule hatten sich taktisch hervorragend am Fuße des Anstiegs positioniert, mein Vorhaben nicht gehend vorbeizukommen, scheiterte bereits in der zweiten Runde. Naja, es blieb zum Glück nur beim Gehen am Berg.
Die Verpflegung auf dem Laufkurs glich der auf der Radstrecke. Keine Riegel oder Gels, dafür getrocknete Pflaumen und Feigen.
Und an jedem Stand gab es andere Getränke. Sogar spritziges Mineralwasser oder Kaffee. Mangels Sprache merkte ich das immer erst zu spät.
Gefühlt verging die erste Runde recht locker, die zweite schon sehr viel weniger. Die dritte Runde wird ein Geheimnis von Embrun bleiben, an dieser Stelle aber noch einmal mein ausdrücklicher Dank an die beiden Triabolos Jule und Mathias. Ohne Euch wäre es noch viel schwieriger gewesen.
Mathias, keiner lügt so schön wie Du, wenn Du rufst, "das sieht noch richtig entspannt aus..."
Ist das Ziel nicht mehr weit, wachsen Flügel
Dann das worauf ich mittlerweile über 14 Stunden gewartet hatte, der Zieleinlauf. FélicitationsManuel Schiller...Jubelschrei, Medallie...und ab auf den 4 Sterne Luxus-Stuhl. Kein Banquett oder Athletengarden. Im Ziel gibt es eine Flasche Wasser und danach kann man nach Hause gehen.
Die Belohnung
Dieses Rennen besteht aus dem Erfolgsrezept, fantastische Landschaft gepaart mit extremer Anstrengung, hammergeile Abfahrten und den sympatischen Helfern, die alle freiwillig hier ihren Dienst bis tief in die Nacht tun. Und das geht auf.
Es führt einem aber auch die Perfektion anderer europäischer IM-Rennen zu tun. Keine Pastaparti, keine Verpflegungsorgie im Ziel, kein gefüllter Rucksack mit Dingen...und leider auch kein Baguette mit Rotwein.
Dafür gibt es eine Wettkampfbesprechung am Vortag in praller Sonne, fehlende Streckenbeschriftungen, Kaffee als Energydrink und (hatte ich das schon erwähnt?), atemberaubende Landschaften.
Im Ziel war ich überzeugt, meinen härtesten Wettkampf bisher absolviert zu haben. Hier war mit Sicherheit kein Teilnehmer, der blauäugig in das Rennen gegangen ist. Auch heute, eine knappe Woche später bin ich sicher, solch ein Rennen nicht wieder absolvieren zu wollen.
Aber, wie es immer so ist im Leben, man weiß ja nie...