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Ironman 70.3 Shanghai 2018 - ein Rennbericht
von Matthias:
Hallo Leute,
nach einer durchwachsenen Saison 2018 mit überragenden Ergebnissen auf der einen und totalen Enttäuschungen auf der anderen Seite, möchte ich gerne noch einen Ironman 70.3 machen. Schon 2016 hatte ich mit einem späten Rennen auf der Mitteldistanz sehr gute Erfahrungen in der Türkei gemacht. Die Ziele sind ganz klar: Ich will einerseits ein richtig gutes und ausgefallenes Rennen machen und mir auf der anderen Seite frühzeitig einen Slot für die 70.3 WM in Nizza sichern, im besten Fall garniert mit einem schönen Urlaub. Dafür stehen einige 70.3-Rennen zur Auswahl: Türkei, Portugal, Lanzarote, einige Rennen in den USA und eben Shanghai. Was im Endeffekt ausschlageben ist: Es gibt in Shanghai nicht nur eine schnelle Strecke, sondern neben 50 Slots für die Ironman 70.3 WM in Nizza noch 30 Slots für die Ironman Weltmeisterscahft auf Hawaii. Ehrlich gesagt glaube ich nicht wirklich daran, einen der wenigen Plätze für Kona zu bekommen, allerdings erhöht das eben auch die Chance einen Slot für Nizza zu bekommen: man muss sich nämlich entscheiden. Entweder Nizza oder Kona. Dazu finde ich Shanghai als Stadt extrem spannend und wir wollen im Anschluss an das Rennen dort Urlaub machen.
Mein Plan für das Rennen: Ich schätze, dass es 2-3 Kona Plätze in meiner AK gibt, und dann entsprechend 4-6 Plätze für Nizza. Die Form ist spitze, im Schwimmen sollten 28-29 Minuten drin sein, auf dem Rad eine Zeit um 2:15 Stunden und beim Laufen ist der Plan um die 4:05-4:10 Minuten pro Kilometer zu laufen solange es geht. Das würde einem Halbmarathon von ca. 1:27 Stunden entsprechen. Ich habe berechtigte Hoffnung, dass diese Leistung für Platz 5-10 reichen sollte. Dieser Gedanke brennt sich in meinem Kopf fest, was sich im Rennen dann später noch als fatal erweisen wird.
Anreise und Tage vor dem Rennen:
Die Anreise erfolgt völlig problemlos. Von Hamburg geht es über Frankfurt mit dem A380 nach Shanghai. Leider kann ich auf dem Flug überhaupt nicht schlafen, was nicht nur ungewöhnlich für mich ist, sondern auch blöd, da wir aufgrund der Zeitverschiebung abends los fliegen und früh morgens in China landen. (-6 Stunden). Für den Weitertransport zum Race-Hotel auf der Halbinsel Chongming habe ich einen Shuttle gebucht, der uns am Flughafen abholt. Klappt alles bestens, ein großes Ironman-Schild mit meinem Namen ist kaum zu übersehen. Auf der rund zweistündigen Fahrt im Bus bekomme ich dann noch eine Mütze Schlaf und gegen Mittag sind wir im Hotel. Für den Nachmittag, für Freitag und Samstag stehen kleiner Aktivierungseinheiten auf dem Plan und natürlich die üblichen Vorstart-Aktivitäten. Registrierung, Race-Briefing, Check-in. Insgesamt ist das Rennen unfassbar gut organisiert. Fakt ist, dass alles bereit ist und ich mich voll auf meine Leistung konzentrieren kann. Ich bin so entspannt und ruhig wie selten zuvor, die Vorfreude ist riesig.
Schwimmen (1,9 Km auf einem Viereckskurs):
Morgens geht es nach einem frühen Frühstück mit einem der ersten Shuttle um 5:15 Uhr zum Mingzhu-See, dem zentralen Wettkampfort. Die Wettervorhersage klingt phantastisch, das Wasser hat 19 Grad. Leichter Wind, Sonnenschein und 24 Grad sind perfekte Bedingungen für das Rennen. Nach den Profis geht es für die Altersklassenathleten ab 8:00 Uhr mit dem Rolling Start auf die 1,9 Kilometer lange Schwimmstrecke. Ich sortiere mich am Ende der Gruppe der Schwimmer ein, die unter 30 Minuten schwimmen wollen. Von einem kleinen Steg geht es los, mit einem Sprung ins Wasser startet mein Rennen. Nach den ersten Zügen fällt mir ein, dass ich meine Uhr nicht gestartet hatte. Geschenkt, für das Schwimmen bringt sie eh keinen Mehrwert! Volle Konzentration auf die erste Disziplin. Die Strecke ist toll markiert, alle 100 Bojen deutlich und viele Kajaks, die den Weg weisen. Leider gibt es hier in Asien aber auch das gleiche Problem mit zahlreichen Schwimmern, die sich viel zu gut eingeschätzt haben. Die ersten 300 Meter sind auch deswegen ziemlich chaotisch und unrhythmisch. Ich finde weder eine Gruppe, in der ich schwimmen kann, noch schnelle Beine, an die ich mich hängen kann oder einen richtigen Rhythmus, der sich gut anfühlt. Aber ich kann immerhin noch die schnellsten Schwimmer erkennen, halte mich also offensichtlich ganz gut. Das motiviert weiter druckvoll zu schwimmen. Am Ende der 1900 Meter steigen wir über eine Leiter aus dem Wasser und haben rund 300 Meter zur Wechselzone hinter uns zu bringen. Ein Blick auf die Uhr bringt keine Erkenntnis außer der Bestätigung, dass ich sie nicht gestartet hatte. 8:32 Uhr zeigt aber, dass ich mein Ziel unter 30 Minuten wohl verfehlt habe.
Radfahren (Wendepunktstrecke mit zwei Runden à 45 Kilometer):
Der Wechsel klappt prima und ach wie sehr freue ich mich, auf mein Shiv zu hüpfen. Endlich meine Lieblingsdisziplin. Über eine Brücke geht es aus dem Parkgelände hinaus, um nach einem kurzen Zubringer auf die zweispurige „Autobahn“ zu biegen. Vor mir sehe ich einzelne Sportler, die ich schnell einholen kann. Ich finde schnell ins Radfahren, kann die geplanten Wattwerte gut fahren. Nach dem doch verbesserungswürdigen Schwimmen muss ich mich allerdings mal wieder selbst bremsen. Das klappt nur bedingt und so sind die ersten Kilometer doch intensiver als ich es wollte. Gepusht von über 300 Watt Leistung in der ersten dreiviertel Stunde fühle ich mich trotzdem immer wohler auf dem Rad. Auf der Gegenfahrbahn zähle ich bis zum Wendepunkt rund 15 Leute und eine größere Gruppe an der ich mit etwas mehr Druck kurz nach dem Wendepunkt vorbei gehe. Ich möchte verhindern, dass die Gruppe mir in meinem Windschatten folgt und so investiere ich ein paar Minuten etwas mehr. Der Plan geht auf und ich kann danach ein gutes Tempo finden. Ganz alleine kämpfe ich mich über den Rundkurs und trotzdem kann ich die Zwischenzeiten und Platzierungen, die Steffi mir zuruft nicht verstehen. Sie zeigt mir fünf Finger, offensichtlich bin ich auf Platz 5 meiner AK. Irgendwie interessiert es mich aber auch nicht wirklich. Es läuft prima und auch wenn es auf der zweiten Runde deutlich voller wird auf der Strecke, geht der Plan auf. Nach 2:15 und mit einem Schnitt von über 40 Kilometern pro Stunde kann ich das Rad in der zweiten Wechselzone abstellen. 2 Minuten Vorsprung ruft mir Steffi auf der Brücke im Park zu. Ich hab verstanden, dass ich 5. bin. Mit 2 Minuten Vorsprung auf den 6. Sonst hätte sie den vorher angezeigten Platz fünf ja korrigiert, oder? Egal, genau auf Kurs. Einige Räder stehen schon da, ich schätze wiederum um die 10-15 Stück. Könnte also passen!
Laufen (3 Runden um den See à 7 Kilometer):
Jetzt heißt es erstmal: „Langsam reiten Cowboy!“ Bloß nicht zu schnell los. 4:30 Minuten pro Kilometer um rein zu kommen. Danach anziehen und die Pace von 4:05 Minuten pro Kilometer möglichst lange halten. Ein anderer Athlet rennt an mir vorbei, andere Altersklasse, also alles easy! Die nächsten Kilometer gehen in der geplanten Pace gut von der Hand. Die Laufstrecke ist einsam, niemand da. An den Verpflegungsstellen warten dutzende helfende Hände und reichen alles an. Okay, trockene Schwämme sind nicht das, was ich erwartet hatte. Ansonsten alles perfekt. Die zweite Hälfte der ersten Runde um den See, wird schon schwer. Ich kann die Pace nicht halten. Panik macht sich breit. Jetzt schon? Ich dachte, ich kann das Tempo vielleicht bis Kilometer 14 oder 15 halten. Im besten Fall bis Kilometer 17. Aber ich habe gerade den 5. Kilometer hinter mir? Verfluchter Mist. Den verzweifelten Blick sieht wohl auch Steffi. Sie ruft mir zu, dass ich mittlerweile 4 Minuten Vorsprung habe. Die anderen laufen auch nicht schneller. Ich bin immer noch der Meinung 5. zu sein. Wieso sagt sie mir keine Abstände nach vorne? Aber gut, immerhin der 5. Platz. Dass die anderen hinter mir nicht viel schneller laufen ist Balsam für die Seele. Also weiter. Die spätere Siegerin bei den Damen, Caroline Steffen überholt mich am Ende der zweiten Runde. Sie darf ins Ziel, ich muss nochmal rum. Aber ich versuche nochmal Tempo zu machen. Mich etwas von ihr ziehen zu lassen ohne ihr Tempo mitzugehen. Nach der zweiten Runde dann die Info: 7 Minuten Vorsprung. Yes! Bring es nach Hause. Irgendwer ruft noch, ab nach Kona. Das kann nicht mir gelten. Ich fange an zu rechnen. 7 Minuten Vorsprung bei verbleibenden 7 Kilometern. Da müsste ja schon jemand 1 Minute pro Kilometer schneller laufen als ich. Auch wenn ich mittlerweile nicht super schnell unterwegs bin, glaube ich, dass ich es nach Hause bringe. An den letzten zwei Verpflegungsstellen nehme ich mir nochmal etwas Zeit. Bloß kein Maastricht-Drama und irgendwo im Graben landen. Konzentriert bleiben und das Ding nach Hause bringen.
Ziel:
Die letzten Meter fliegen dann wieder. Ich bin happy. Es war ein gutes Rennen. Der erhoffte Abschluss. Steffi wartet kurz vor dem Zielkanal. Jubel. Wie immer sind mir die Worte von Mathias Müller, einer meiner besten Freunde, im Ohr. Brille hoch und lächeln. Zack die Brille fällt hinten über. Völlig egal. Ab ins Ziel und hoffentlich den 5. Platz feiern. Nizza-Slot für die Ironman 70.3 Weltmeisterschaft ist safe. Perfekt. Im Ziel setzte ich mich erstmal hin. Steffi strahlt: „Kann man mal machen“, sagt sie. Ich frage sie: Bin ich echt auf dem 5. Platz? Hab ich den Slot? Sie schaut mich völlig entgeistert an und sagt: Hä? Du bist Erster! Du hast deine Altersklasse gewonnen! Das kann ich nicht glauben. Ich möchte mein Handy um den Tracker zu checken. Da steht nichts anderes. 1 Platz. Ich checke panisch die anderen Zwischenzeiten. Den kompletten Halbmarathon Erster in der Altersklasse. Mittlerweile sind der Schweizer und der Russe im Ziel, die bei den vorherigen Zwischenzeiten hinter mir waren. Auch jetzt bin ich noch Erster. Langsam wird mir klar, dass es tatsächlich so ist. Sieg, gewonnen und damit auch auf jeden Fall einen Slot für Kona. Für Hawaii. Für meinen großen Traum. Tränen kullern über die Wange, ich bin völlig sprachlos. Fassungslos. Kona. Ich kann es nicht glauben. Vor einer Woche am Fernseher verfolgt, das nächste Mal live dabei. Kona, Kona, Kona. Unglaublich.
Im Grunde kann ich kaum beschreiben, was in diesen Momenten in mir vorgeht. Immer wieder checke ich ungläubig die Ergebnisliste aber es ändert sich nichts daran. Es bleibt dabei. Ich habe meine AK gewonnen und darf nach Hawaii. Natürlich hatte ich etwas Glück, in der AK 30-34 wäre ich zum Beispiel mit dieser Zeit nur 5. geworden, in der AK 25-29 wäre ich auf dem 7. Platz gelandet. In der Altersklasse über mir (AK 40-44) hätte die Zeit für den 2. Platz gereicht. Aber das gehört eben auch dazu. Glück. Und das hatte ich mir mit viel Wille, Fleiß und Durchhaltevermögen trotz zahlreicher Rückschläge in den vergangenen Jahren verdient.
Dass ich während des Rennens nicht kapiert habe, dass ich führe? Ich kann es mir nicht erklären. Im Nachhinein frage ich mich warum? Steffi hat es mir wohl mehrmals zugerufen. Mein Kopf wollte es einfach nicht hören. Nicht verarbeiten. Mach dein Ding und bleib bei dir. Das wollte ich und das habe ich ganz konsequent umgesetzt. Für mich war es bestimmt besser so und die Vorfreude auf die Siegerehrung, die Slotvergabe und das Rennen am 12.10.2019 auf Hawaii ist lange genug. Es war tatsächlich nicht der Plan mich hier für Kona zu qualifizieren, sonst hätte ich mich auch intensiver damit auseinandergesetzt, wie viele Slots es in meiner AK gibt. So wie Alex, ein super sympathischer Schweizer, mit dem ich mich vor dem Rennen unterhalten hatte. Er hatte im Vorfeld genau berechnet, dass es in unserer AK sogar vier Kona-Slots gibt und so feiern wir zusammen seinen dritter Platz und die gemeinsame Qualifikation mit einigen Bierchen.
Empfang am Flughafen Hamburg:
Ich bin echt überwältigt wie viele Leute sich mit mir freuen. Das ist so toll. Vielen Dank für Eure Likes, Nachrichten, Anrufe, Geschenke und den Empfang am Flughafen. Vielen Dank vor allen Dingen an diejenigen, die immer daran geglaubt haben, dass es klappt. Die mich unterstützt haben, weiter zu machen. Es gibt so viele Menschen, die mir extrem nahe stehen und denen ich ganz besonders danken möchte. Ohne Euch wäre das nicht möglich gewesen.
Wer meinem Weg nach Hawaii folgen möchte, kann das gerne auf meiner Homepage, auf Instagram oder facebook tun. Ansonsten sehen wir uns bestimmt bei einem der kommenden Rennen, egal ob Landesliga oder Regionalliga.
Euch allen eine großartige und verletzungsfreie Zeit, glaubt an Euch und kämpft für Eure Träume.
Euer Matthias
P.S.: Was ich nicht uneingeschränkt empfehlen kann, ist ein Städtetrip nach einem anstrengenden Rennen. Ich musste bei den zahlreichen Treppen und langen Wegen in den Tagen nach dem Ironman 70.3 nochmal alles aus mir rausholen.. ;-)