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„You are an Ironman!“ – Hawaii ist anders
Mittwoch, 13. Oktober 2021. Ich stehe in der Warteschlange zur Abholung der Startunterlagen für den Ironman Mallorca, als es in der Hosentasche brummt. „Sie haben Post!“. Absender ist Ironman World Championship – oha: „Aloha and congratulations!...”. Kaum zu glauben, da ist sie endlich! In den letzten Tagen hatten sich die Gerüchte verdichtet und nun steht es da schwarz auf weiß – ich werde nächstes Jahr in Kona starten! Passender hätte die Nachricht kaum kommen können – meine Gefühle spielen Achterbahn. Gerade noch eine Mischung aus Aufregung, Vorfreude und Angst, ob es denn am Samstag hier auf der Insel endlich klappen wird, den langersehnten Slot zu ergattern. Und nun das! Völlig beseelt schaue ich mich um und widerstehe nur gerade so dem Drang, meinen Schlangen-Nachbarn die fantastischen Neuigkeiten aufzudrängen. Leider ist mir klar – das interessiert hier außer mir wohl niemanden, also schnell ein paar WhatsApp an die, die sich zumindest halbwegs mit mir freuen werden, so hoffe ich.
Sieben Wochen vorher hatte ich beim Regenrennen von Hamburg einen großartigen Tag und damit Platz 3 in der AK45 ergattert. Dummerweise hatte Ironman kurz vor dem Rennen die verfügbaren Slots für Hamburg um die Hälfte reduziert, so dass dieses Ergebnis eben nicht für Kona reichte. Erst in den letzten Tagen wurde dann zunächst bekannt, dass das Rennen auf zwei Tage verteilt würde und dann später, dass sie rückwirkend die durch die Kürzung betroffenen Wettkämpfe wieder aufstocken würden – eben auch für Hamburg!
Das war es also – mein großes Ziel, einmal auf Hawaii starten zu dürfen, war erreicht!
Der Weg dahin war allerdings mühsam und holperig. Silvester 2018 stand der Entschluss für mich fest. Durch eine berufliche Veränderung war klar, dass ich in den kommenden 12 Monaten sehr viel mehr Zeit als bisher haben würde. Dann sollte es doch wohl kein Problem sein, auch mal die Kona-Quali zu schaffen! Meine Hochrechnungen auf dem Sofa hatten ergeben, dass ich die damals üblichen Quali-Zeiten eigentlich locker unterbieten können sollte. Schließlich mache ich lange genug Triathlon und der für mich einzige Grund, warum ich bisher nicht schnell genug war, war die fehlende Zeit zum Training – was sonst!? Was macht also der ambitionierte Triathlet? Richtig – ich suchte mir einen Coach, der mir einen Trainingsplan erstellte und dann ging es los. Natürlich nicht sofort – erstmal das Sabbatical genießen und einen längeren Familienurlaub machen. Tatsächlich ging das Training dann im August los, die Quali sollte im November in Cozumel erfolgen. Dort musste ich dann allerdings bitteres Lehrgeld zahlen unter anderem für die vielen Fehler, die ich im Rennen gemacht habe. Aber nach kurzer Analyse kam der Trotz durch: jetzt erst recht, dann halt Hamburg im Juni! Wie leidlich bekannt, kam dann die Pandemie, so dass ich letztlich erst Ende August 2021 die Chance zur Wiedergutmachung bekam, das glückliche Ende habe ich oben schon beschrieben.
Zurück nach Mallorca. Nach nun insgesamt 2 Jahren intensiver Vorbereitung bin ich zwar körperlich topfit, andererseits aber auch irgendwie müde und mental ausgelaugt. Nach den Glücksgefühlen kommt dann bald die Ernüchterung, dass ich noch weitere 12 Monate dieses Level aufrechterhalten werden müsse. Puh. Den Winter verbringe ich dann weitgehend in der virtuellen Zwift-Welt, im Frühling folgen dann die ersten „richtigen“ Radfahrten erst auf Fuerteventura, dann auf Mallorca. 6 Monate vor Kona bin ich schließlich auf dem Tiefpunkt angelangt. Keine Motivation, meine gefühlte Fitness bewegt sich rückwärts. Ich wechsele meinen Coach und diese stellt mein Training um. Die Umfänge und vor allem die Intensität sinken – ich beginne mit Schwimmtraining, was ich die letzten 20 Jahre komplett ignoriert hatte. Plötzlich kehren die Motivation und der Spaß zurück, nach einer Weile verbessert sich auch die Leistung. Zum Abschluss der Vorbereitung unterbiete ich im hohen Wettkampfalter beim IM70.3 in Erkner sogar meine persönliche Bestleistung – jetzt bin ich reif für die Insel!
Die Erwartungen sind hoch, die Vorfreude groß. Die Rennwoche in Kona soll dann tatsächlich auch etwas ganz Besonderes werden – in jeder Hinsicht! Zunächst mal muss und will ich meinen Teil des Deals einhalten, den ich zu Beginn des Projektes mit meiner Familie geschlossen hatte: Wenn schon Hawaii, dann natürlich mit der ganzen Familie! Aufgrund der unpassend gelegenen Ferien kommen wir erst am Samstag, gut 4 Tage vor dem Rennen an. Vor Ort reißt mich die unglaubliche Stimmung sofort mit. Ich fühle mich, als wäre ich plötzlich live dabei, mitten in meiner Lieblings-Serie zwischen all den Stars und Sternchen. Irgendwie unwirklich, Frühstück am Ali’i Drive, überall beneidenswerte Athletenfiguren, wohin man schaut nur ein Thema – Ironman! War das nicht gerade Anne Haug da vorne? Jan Frodeno plaudert nebenan am Hoka-Stand, die Norweger-Zwillinge sollen oben am Highway gesichtet worden sein. Gegenüber die Schwimmstrecke, sind das die Bojen? Nein, das sind Athleten – wie an der Perlenkette gezogen. Es ist 6:45 Uhr morgens. Ich möchte gar nicht mehr weg, am Liebsten den ganzen Tag hier bleiben. Die Tage bis zum Rennen vergehen wie im Flug: Athleten Check-In, Wettkampfbesprechung, Bike Check-In, Nationenparade, Rad-, Lauf- und Schwimmstrecke testen – das Adrenalin ist durchgehend an der Obergrenze, alles ist aufregend und jeder ist hier spürbar begeistert. Es kribbelt, gleichzeitig steigt der Respekt und die Angst: Die Wellen, die Hitze, die Luftfeuchtigkeit, der Wind, die unfassbar gute Konkurrenz – wie soll ich das bloß schaffen? Allmählich beginne ich zu begreifen, was die unzähligen Ratgeber im Vorfeld gemeint haben: „Hawaii ist anders“! Und das beginnt eben schon mit dieser unglaublichen Rennwoche. Noch nie in 30 Jahren Wettkampfsport habe ich etwas Vergleichbares gespürt, auch nur ansatzweise eine ähnliche Situation erlebt. Es ist tatsächlich anders hier. Noch eine Nacht bis zum Rennen.
Raceday. Um 2:30 Uhr kann ich nicht mehr schlafen und versuche irgendwie, die Vorwettkampfroutine abzuspulen. Das gelingt mehr schlecht als recht, viel zu früh bin ich um kurz nach fünf in der Wechselzone, wir sind die vorletzte Startgruppe um 7:35 Uhr. Mein Coach Manu hat mir als Motto für heute mitgegeben: „Nimm Dir Zeit!“. Zumindest hier bin ich dem Motto noch treu. Dann stellt sich das Feld auf dem Ali’i Drive auf. Ich versuche mich auf mich selbst zu konzentrieren, habe aber keine Chance. Die Profi-Frauen sind schon im Wasser und nach 50m hat Lucy Charles-Barclay schon eine Lücke gerissen, die sie auch nicht mehr hergeben wird. Was für eine Athletin! Und was für Helden überall um mich herum – die sollen alle schon 50 Jahre alt sein sein!? Kaum zu glauben. Endlich geht es los, und schon beim Wasserstart wird klar: Hawaii ist anders. Habe ich sonst als verhältnismäßig guter Schwimmer meist nach wenigen Metern etwas Platz und die Ruhe, meinen Rhythmus zu finden, wird hier vom ersten Meter an gekämpft. Schulter an Schulter pflügen wir durch die Wellen, immer wieder hängen mir Athleten auf den Beinen oder in den Armen, immer wieder müssen wir an den langsameren Schwimmern der vorherigen Startgruppe vorbei oder durch sie hindurch. Bis zur Wendeboje nach 1900m bleibt es brutal eng und anstrengend. Auf dem Rückweg scheint es sich zu beruhigen, aber dann bekomme ich einen Schlag auf den Knöchel und merke, wie mein Chip abrutscht und in die Tiefe sinkt. Einen kurzen Moment überlege ich zu tauchen – werde ich nun disqualifiziert? Ein DSQ oder DNF ist der absolute Worst Case für mich heute, sollte das Rennen jetzt schon vorbei sein!? Ganz ruhig, ich kann ja nichts dafür, das muss schon irgendwie gehen, beruhige ich mich. Aber dennoch ist der Rhythmus weg, durch den kurzen Panik-Stopp sind gefühlt 20 Schwimmer an mir vorbeigezogen und ich muss erstmal wieder zurück in die Spur finden. Am Ende ist es dann ganz simpel. Direkt am Ausstieg sitzt eine nette Dame, drückt mir einen neuen Chip in die Hand und fragt lediglich nach meiner Startnummer. Zeitverlust etwa 5 Sekunden. Ok, weiter geht’s. Auf dem Rad geht es zuerst mal in Kona einen Anstieg hoch – ich liege weit über meiner Watt-Vorgabe, oh man. Nimm Dir Zeit!! Also gleich wieder kürzer treten, auf der Abfahrt ein wenig ausruhen und mental auf den Queen-K-Highway vorbereiten. Dort angekommen, versuche ich erneut, meinen Rhythmus zu finden. Aber das ist leichter gesagt als getan. Es geht auf und ab, die Strecke ist sehr voll – außerdem muss ich ja auch noch daran denken, zwei Flaschen pro halber Stunde zu trinken. Die Sonne steht noch lange nicht am Zenit aber schon jetzt brennt es auf Armen und dem Kopf, während von unten der Asphalt die Beine warmhält. Gut fünf Stunden später rolle ich dann auf T2 zu. Ich liege noch gut im Plan. Die Wattvorgabe habe ich einhalten können, allerdings habe ich es nicht geschafft, zwischen den Verpflegungsstationen meine beiden Flaschen zu leeren. Mein ganzer Körper glüht, bereits am Ausgang von T2 gieße ich mir einige Becher Eiswasser über den Kopf und dann geht es los. Marathon, hurra! Zunächst fühlt es sich noch erträglich an, doch schon nach 5km sinkt das Tempo beträchtlich – ich fühle mich, als ob mein Kopf in Flammen steht. Nun zeigt sich auch der Effekt des Flüssigkeitsdefizits. Ich wusste, dass ich viel schwitze und daher deutlich mehr als 1l, besser 2l pro Stunde trinken müsste. Geschafft habe ich weniger als 1l auf dem Rad, damit liegt mein Defizit jetzt bei geschätzten 4-5l nach dem ersten Viertel des Marathon. Das Ergebnis sieht man meinem Laufstil an. Böse Rücklage, keinerlei Dynamik, Überlebenskampf. Auf der Palani Road gibt es noch einen lichten Moment, als mir Jan Frodeno mit einem fröhlichen „Aloha!“ ein Wasser reicht. Nur ein paar Meter weiter biege ich auf den Highway ein und die gute Stimmung ist schon wieder verflogen. Soweit das Auge reicht, zieht sich der Queen-K von Hügel zu Hügel – am Horizont die nächste Verpflegungsstation – oder ist das eine Fata Morgana!? Ich habe inzwischen meine Erwartungen umgestellt. Jegliche Zielzeit ist mir nun egal. Ankommen und irgendwie laufen und bis zur nächsten Wasserstelle nicht gehen! Alleine das ist ein großer Willensakt. Der Körper verweigert längst jegliche Kooperation und macht sein eigenes Ding. Ich hangele mich von Station zu Station und freunde mich unterwegs mit den zahlreichen Mitstreitern an, denen es kaum besser geht. Hier sieht niemand mehr frisch aus, einige leiden ein wenig mehr, andere zumindest etwas weniger.
Schließlich ist es soweit. Nach 11:07h wanke ich durch das Ziel. Meine drei Mädels haben tapfer durchgehalten und direkt vor dem Finish hole ich mir noch ein paar Küsschen ab. Diese verrückte Mischung aus totalem Glücksgefühl und absoluter Erschöpfung ist schwer zu vermitteln und kann vermutlich nur selbst erlebt werden.
Ok, wer von euch es bis hierhin geschafft hat, der möchte nun womöglich noch ein Fazit lesen.
Zunächst mal ist es großartig. Ich bin stolz, mir einen Traum erfüllt zu haben, der schon sehr viele Jahre vage im Raum und dann seit 2019 konkret auf der Wunschliste stand! Zu Beginn meiner Triathlonlaufbahn habe ich noch mit Norman Stadler, Thomas Hellriegel und Faris Al-Sultan mitgefiebert – nun durfte ich selbst dabei sein!
Auf dem Weg dorthin habe ich sehr viel gelernt. Zum Beispiel, dass eine Kalkulation auf dem Sofa nicht ausreicht, dass ein Ironman nicht einfach zwei Mitteldistanzen ist, dass mehr nicht immer mehr ist und dass man nicht alles planen und berechnen kann. Ich habe gelernt, Rückschläge zu verarbeiten, (viel zu selten) auf meinen Körper zu hören, auch den Spaß nicht zu vergessen, also nicht so verbissen zu sein.
Hat sich der Aufwand also gelohnt? Auf jeden Fall! Würde ich es wiedermachen? Bestimmt, aber sicher nicht genauso wie in diesen drei langen Jahren. Werde ich es nochmal machen? Schon schwieriger zu beantworten. Auf absehbare Zeit sicher nicht.
Einerseits ist es ein extrem hoher Aufwand, überhaupt die Qualifaktion zu schaffen. Da müssen Familie und Job schon deutlich zurückstecken, damit ich so weit komme. Dann ist das Rennen selbst nun wahrlich kein Zuckerschlecken. Sowohl physisch als auch mental ist es eine Tortour, auf die ich sehr gut verzichten kann. Ich kann nicht sagen, ob sich diese einmalige Stimmung auch bei einem zweiten Mal wieder einstellen würde. Sehr wahrscheinlich schon, das behaupten zumindest viele Wiederholungstäter, allerdings gibt es auch viele Gründe, kein weiteres Mal zum IM Hawaii zu fahren: Zum Einen sind die Preise wirklich astronomisch und eigentlich bereits ein Ausschlusskriterium. Dabei sind die horrenden Renngebühren noch der kleinste Teil. Die Flüge, vor Allem die Unterkunft und auch das Leben auf der Insel sind kaum bezahlbar und werden meiner Meinung nach diesem Event schaden, da sich eben nicht mehr die besten, sondern die wohlhabendsten Triathleten in Kona treffen werden. Ich wünsche es unserem Sport, dass die Veranstalter dort eine Lösung finden, um wieder Qualität in den Vordergrund zu stellen.
Zum Anderen ist es auch eine grundsätzliche Frage, ob man alljährlich 5000 Athleten plus ca 15000 Begleiter durchschnittlich 10000 km weit fliegen lassen muss, um dort auf einer Insel ein WM-Rennen stattfinden zu lassen. In der heutigen Zeit ist das zumindest kontrovers, wenn nicht gar fahrlässig. Auch hier wäre zumindest eine Reduktion der Teilnehmer ein möglicher Kompromiss. Eine Verlegung nach St. George oder sonstwo hin kann jedenfalls den Mythos nicht ersetzen. Davon konnte ich mich nun selbst überzeugen: Hawaii ist anders!